Landeskongress der Musikpädagogik: Musik und Medizin

Statement von Dr. med. Gisela Dahl, Präventionsbeauftragte der Landesärztekammer Baden-Württemberg

Stuttgart, 29.September 2005. Medizin ist nach Heinrich von Kleist die "Wurzel aller übrigen Künste", sie ist der Inbegriff der Kunst. Auch Medizin ist eine Kunst, die das ärztliche Handeln, die Kommunikation und die Interaktion zwischen Arzt und Patient im Blick hat. Musik und Medizin berühren sich. Gesundheit und Krankheit variieren - wie die Musik - zwischen Harmonie und Disharmonie der Organfunktionen. In der Behandlung des Kranken ist der Arzt eingebunden in der „Orchestrierung des Körpers und seiner Organe“.

Der Einsatz von Musik bei Krankheiten ist so alt wie die Geschichte der Medizin. Wie wohl keine andere Kunst entfaltet Musik heilende Kräfte und "gereicht zur angenehmen Linderung von allem Beschwerlichem". Auch Schopenhauer befand: "Keine Kunst wirkt auf den Menschen so unmittelbar, so tief wie Musik..."

Musik regt die für Gefühle zuständigen Areale des Gehirns an. Sie kann Emotionen auslösen, Trauer, Freude oder Euphorie – und dies unmittelbar und sofort. So wirkt Musik beispielsweise auf die gesamte vordere Hirnrinde. Fröhliche Musik regt dabei die linke Hälfte an, eher traurige die rechte Hirnhälfte.

Klänge und Töne können im Mittelhirn das "Glückshormon" Dopamin vermehrt ausschütten lassen, ein Hormon zur Beeinflussung der Motivation zu handeln, Aufgaben anzugehen. Auch körpereigene Opiate können durch Musik vermehrt ausgeschüttet werden, die dann oft schmerzlindernd wirken können.

Bei rhythmischer Musik kann der Bewegungsdrang oft ganz übermächtig werden, selbst bei Bewegungsmuffeln! Auch das Immunsystem wird durch Musik angeregt mit einem Anstieg von Antikörpern, vor allem wenn man aktiv musiziert.

Musik ist tatsächlich seit mindestens 50 000 Jahren von allen Menschen in allen Kulturen gemacht worden. Es gibt praktisch keine Kultur, in der keine Musik gemacht wurde. Zu einem gewissen Zeitpunkt haben unsere Vorfahren keine Musik gemacht, Menschenaffen machen zwar Laute, aber keine Musik. Irgendwann gab es dann eine Mutation, die für Musik zuständig war und offensichtlich eine Reihe von Vorteilen für das emotionale Leben, für die Arbeit in der Gruppe mit sich brachte und sich so für die Zukunft durchsetzen konnte.

Die ersten Lieder, die der Mensch, hört, sind Wiegenlieder, die es auch in allen Kulturen gibt und eigentlich in allen Kulturen etwa gleich klingen: Schön langsam, immer in der Tonfolge "bergab" gehend (da uns beim Singen die Luft ausgeht!). Gleichzeitig wird das Kind auf den Armen gewiegt, mit einer Frequenz, die der Schwingungsfrequenz des eigenen Körpers entspricht! Das Gesicht dessen, der das Baby trägt, fällt beim Baby ebenfalls in diejenige Gehirnhälfte, die die Emotionen besser verarbeiten kann. So fügen sich Musik, Bewegung und Gefühl zu einem wohligen Entspanntsein, das sich für den Rest des Lebens einprogrammiert!

Menschen musizieren am liebsten gemeinschaftlich. Am Einfachsten lässt sich dies natürlich mit Singen, mit der Stimme, machen, die überall und stets präsent und benutzbar ist. Gemeinsames Singen verbindet, es hebt Grenzen auf und kann Trauer, Ärger und Feindschaft vergessen machen. Hier wollen wir bei diesem Tag "Musik und Medizin" ansetzen, und Eltern und Kinder, Großeltern und Familien an die alte Kunst des Singens und an die Freude des Musizierens wieder erinnern und heranführen an die uralte Kenntnis der Heilsamkeit dieser Kunst. Gerade in dieser oft sorgenvollen Zeit, in der Zeit der Vereinsamung des Menschen und der gestörten Kommunikation in unserer Gesellschaft ist Musik die einfachste Prävention zu einem glücklicheren Leben!

Es gilt das gesprochene Wort!

Stand: 29.09.2005

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letzte Änderung am 29.09.2005