Flüchtlinge mit Psychotrauma ernst nehmen

Ärzteschaft fordert die Landesregierung zu verbesserter Zusammenarbeit bei der Begutachtung von Ausreisepflichtigen auf / Ziel ist ein gemeinsamer Informations- und Kriterienkatalog

Stuttgart, den 4. Juli 2006. Nach Informationen der Landesärztekammer Baden-Württemberg hat die verschärfte Asylgesetzgebung der vergangenen Jahre dazu geführt, dass körperlich und psychisch traumatisierte Flüchtlinge vermehrt abgeschoben wurden, obwohl im Vorfeld durch ärztliche Gutachten auf den Umstand der Traumatisierung aufmerksam gemacht wurde. "Ein ärztlich nachgewiesenes Psychotrauma muss zu jedem Zeitpunkt des aufenthaltsrechtlichen Verfahrens ernst genommen werden - auch behördlicherseits", fordert daher die Interessenvertretung der rund 52.000 Ärztinnen und Ärzte im Südwesten.

Dr. med. Gisela Dahl, Menschenrechtsbeauftragte der Landesärztekammer, erläutert die Ausnahmesituation von Flüchtlingen: "Psychische Traumafolgen werden in vielen Fällen erst spät im Abschiebeverfahren bekannt: In größter Not, mit dem Trauma der Rückführung vor Augen, werden die Bilder der Vergangenheit wieder wahrgenommen und erinnert, mit allen Schrecken und oft so, als wenn sie gegenwärtig seien. Dies kann zu folgenschweren akuten körperlichen und seelischen Zusammenbrüchen führen." Matthias Odenwald, ebenfalls Menschenrechtsbeauftragter der ärztlichen Standesorganisation, ergänzt: "Die Begutachtung von traumatisierten Flüchtlingen darf nach unserer Überzeugung nicht durch die Behörden erfolgen, sondern muss von Ärzten und Therapeuten mit entsprechender Qualifikation vorgenommen werden. Nur so kann sichergestellt werden, dass die Menschenrechte auf Gesundheit, Wohlbefinden und Rechtsstaatlichkeit auch für Ausreisepflichtige nicht aufgehoben sind." Daher fordert die Landesärztekammer die Landesregierung auf, die Abschiebepraxis künftig auf einen gemeinsamen Informations- und Kriterienkatalog zu stützen.

Nach den Worten von Kammerpräsidentin Dr. med. Ulrike Wahl leistet die Landesärztekammer ihren Beitrag, um die Bedingungen zu verbessern: "Die besondere Problematik von Flüchtlingen, der mögliche Konflikt zwischen Asyl- sowie Ausländerrecht und der ärztlichen Sorgfaltspflicht erfordert eine spezielle Fachkompetenz. Wir geben den neuesten wissenschaftlichen Stand im Rahmen spezieller Fortbildungen an Ärztinnen und Ärzte weiter; neben Psychotraumatologie werden auch Kenntnisse zur interkulturellen Begutachtung, zur standardisierten Psychodiagnostik und Kenntnisse über das Asyl- und Ausländerrecht vermittelt." Besonderer Wert werde auf die Qualität der Gutachtenerstellung selbst gelegt; methodische, objektive und subjektive Fehlerquellen ausführlich behandelt, so die Kammerpräsidentin.

Stand: 04.07.2006

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letzte Änderung am 04.07.2006