"Gesundheitsfonds - so nicht!"

Statement zum Start der Informationskampagne von Dr. med. Ulrike Wahl, Präsidentin der Landesärztekammer Baden-Württemberg

Stuttgart, den 07. Mai 2008. Eigentlich sollte man meinen, dass Politiker erst wissenschaftlichen Sachverstand einholen und dann entscheiden, wenn sie weitreichende Beschlüsse fassen. Bei der jüngsten Gesundheitsreform war es umgekehrt. Erst beschloss die Koalition den Gesundheitsfonds nebst einer Konvergenzklausel, die finanzstarke Länder wie Baden-Württemberg vor Überlastungen schützen soll, dann beauftragte sie Monate später Experten damit, die Sinnhaftigkeit dieser Klausel zu untersuchen. Das Gutachten der Gesundheitsökonomen Buchner, Wasem und Wille fiel vernichtend aus; die Koalitionäre streiten nun, wie sie die Klausel umsetzen sollten. Vor allem die CSU stellt mittlerweile den gesamten Gesundheitsfonds infrage.

Die Position der Ärzteschaft in Baden-Württemberg ist klar: Mit dem Gesundheitsfonds wird ein völlig insuffizienter ordnungspolitischer Ansatz mit Einheitspreisen und Einheitsbeitragssätzen verfolgt. Wir lehnen den Fonds ausdrücklich ab, denn er wird dem Gesundheitswesen in Baden-Württemberg pro Jahr bis zu 500 Millionen Euro entziehen und auf Dauer eine unzureichende Versorgung festschreiben.

Ab 2009 soll die Finanzausstattung des Fonds den Leistungsausgaben genau entsprechen. Ich persönlich halte das Eintreffen dieser Vorgabe für deutlich unwahrscheinlicher als ein Sechser im Lotto. Bleiben zwei Möglichkeiten: Entweder im Fonds ist mehr Geld, als benötigt wird (auch das halte ich übrigens für kaum vorstellbar) - oder die Leistungsausgaben sind höher als die Fondsmittel; das ist es, was am Ende wohl eintreffen wird. Und schon heute ist klar, wie es dann weitergeht: Zunächst einmal gar nicht! Denn erhöht werden die Beitragssätze nur dann, wenn der Fonds die Leistungsausgaben über einen Zeitraum von zwei Jahren nicht deckt. So müssen die Krankenkassen voraussichtlich schon sehr rasch Zusatzprämien von ihren Versicherten einfordern, was nicht nur zu Akzeptanzproblemen führen wird.

Als strategisch-taktischer Kompromiss der Koalition für eine Neustrukturierung des Gesundheitssystems ist der Fonds nach Überzeugung der baden-württembergischen Ärzteschaft nicht das geeignete Instrument, da er weder mehr Wettbewerb noch die Stärkung der Solidargemeinschaft beinhaltet und auf lange Zeit neugeschaffene bürokratische Strukturen verfestigt. Nach unserer Ansicht führt die Festlegung der Finanzausstattung der Gesetzlichen Krankenversicherung durch den Fonds geradewegs in die Planwirtschaft. Wer die vielfältigen Zahlen und Behauptungen nachprüfen will, die im Zusammenhang mit dem Gesundheitsfonds in die Welt gesetzt werden, der hat es zugegebenermaßen nicht leicht. Denn anders, als häufig suggeriert wird, lässt sich nur abschätzen, welche Auswirkungen in Euro und Cent der Fonds auf die Mittel der Krankenkassen, die Versorgung der Patienten, die Honorare der niedergelassenen Ärzte und die Einkünfte der Krankenhäuser in den einzelnen Bundesländern haben wird.

Unklar ist beispielsweise, ob der Fonds die Gelder im Gesundheitswesen wirklich gerecht verteilen wird. - Wir halten das zumindest für mehr als unwahrscheinlich. Zudem gibt es längst ein gewaltiges Umverteilungsinstrument für die Einnahmen der Krankenkassen, nämlich den Risikostrukturausgleich. Er nivelliert heute bereits rund 92 Prozent der Einnahmen in der gesetzlichen Krankenversicherung.

Der Fonds führt nicht zu mehr Beitragssatz-Gerechtigkeit. - Zwar wird es durch den Fonds einen bundesweiten Einheitsbeitragssatz geben, aber die Versicherten werden wie bereits ausgeführt teils deutlich stärker belastet. Anders als bisher nutzt dann der Wechsel zu einer günstigeren Krankenkasse nichts mehr: Die Beitragsgelder fließen in den Fonds, aus dem die Krankenkassen für jedes ihrer Mitglieder einen nach Morbidität gestaffelten Beitrag erhalten. Statt wie bisher durchschnittlich 14,8 Prozent wird der einheitliche Beitrag, der im Herbst vom Bundesministerium für Gesundheit festgelegt wird, wahrscheinlich auf über 15 Prozent klettern.

Wir im Südwesten haben dabei ein besonderes Problem: Zwar wird durch die zu erwartende fondsbedingte Steigerung der Krankenversicherungsbeiträge insgesamt mehr Geld für das Gesundheitswesen mobilisiert, aber diese Mittel bleiben nicht etwa im Südwesten, sondern werden bundesweit auf strukturschwächere Regionen verteilt. Verlierer sind in erster Linie die Patienten, aber auch die Ärzte im Land. Denn durch den Gesundheitsfonds wird den Kassen in Baden-Württemberg im Vergleich zu heute deutlich weniger Geld für die Versorgung von Patienten in Praxis und Krankenhaus zur Verfügung stehen.

Anders als bei den niedergelassenen Ärzten ist im stationären Bereich schwer einzuschätzen, wie sich der Gesundheitsfonds auf die Finanzsituation der Krankenhäuser und damit auch auf die Arbeitssituation und Einkommen der Klinikärzte auswirken wird. Wenn den Kassen in allen Ländern gleiche Geldbeträge pro Versichertem zugewiesen werden, werden die regionalen Kassen in Ländern mit überdurchschnittlichem Krankenhaus-Basisfallwert wie in Baden-Württemberg zwangsläufig Finanzierungsprobleme bekommen. Wird der landeseinheitliche Basisfallwert durch den bundeseinheitlichen abgelöst wie in 2009 geplant, wird sich die Lage noch verschlimmern und Baden Württemberg ist wieder einmal der Geldgeber. Denn die Unterschiede der Krankenhausausgaben zwischen den Ländern hingen in erster Linie von der Krankenhaushäufigkeit und der Qualität der Leistungen ab. Obwohl die Vergütung pro Fall in Baden-Württemberg überdurchschnittlich hoch ist, weist das Land die geringsten Krankenhauskosten je Einwohner auf. Dies liegt zum einen an der niedrigen Krankenhaushäufigkeit und zum anderen an der flächendeckend hohen Qualität der Versorgung. Ein bundesweiter Basisfallwert würde diesen Zusammenhang von höheren Vergütungen pro Fall und insgesamt kostengünstigerer Versorgung einfach ignorieren (Kosten je Behandlungsfall in Baden-Württemberg 2005: 4.183 Euro, Bundesdurchschnitt: 3.813 Euro, Krankenhaushäufigkeit 2005 in Baden-Württemberg: 17.969 Fälle je 10.000 Einwohner, Bundesdurchschnitt: 20.462, Quelle: Statistisches Bundesamt).

 

Mit dem heutigen Start der Informationskampagne "Gesundheitsfonds - so nicht!" versuchen wir ein weiteres Mal Vernunft in die politische Debatte einzubringen und fordern auch die baden-württembergische Landesregierung auf, wie in Bayern endlich eindeutig Stellung zu beziehen. Der Fonds ist kein Mittel zum politischen Taktieren. Wir appellieren an die Politiker: Verschieben Sie den Fonds solange, bis unter klaren politischen Mehrheiten vernünftige Lösungen möglich sind.

Stand: 07.05.2008

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letzte Änderung am 07.05.2008