Ohne leistungsgerechte Honorierung droht das Praxissterben

Rahmenbedingungen des Arztberufs Thema beim Baden-Württembergischen Ärztetag / Ärzteschaft fordert offene Debatte: Mehr Geld ins System oder Rationierung

"Leute, die Hütte brennt! Es gibt keinen Nachwuchs mehr! Wenn ihr in fünf Jahren noch Hausärzte haben wollt, müsst ihr schleunigst was tun", so der. Appell eines angehenden Allgemeinmediziners aus Freiburg an die Politiker. Als die Regelleistungsvolumen bekannt wurden, hatte ihm die Bank - wie er berichtete - den Kredit für die Praxisgründung verweigert. - Die Zukunft des Gesundheitswesens und die Rahmenbedingungen des Arztberufes standen im Mittelpunkt des 12. Baden-Württembergischen Ärztetages am 17. Juli in Stuttgart. In der von Ulrich Meyer moderierten Podiumsdiskussion waren Politiker der im Bundestag vertretenen Parteien den bohrenden Fragen der Ärzteschaft ausgesetzt.

Dr. Wolfgang Herz, stellvertretender Vorsitzender der Kassenärztlichen Vereinigung Baden-Württemberg, beschrieb die Problematik: Drei gleichzeitige Reformen - die Einführung des Gesundheitsfonds, ein reformiertes Arzthonorierungssystem (Angleichung der Vergütung Ost-West) und ein neuer EBM - haben dazu geführt dass in Baden-Württemberg 60 Prozent der niedergelassenen Ärzteschaft Honorareinbußen von bis zu 30 Prozent hinnehmen müssen. In manchen Regionen drohen Praxisschließungen und damit die Unterversorgung der Patienten. Im Ostalbkreis beispielsweise finden zwölf Allgemeinärzte, die sich zur Ruhe setzen wollen, keinen Nachfolger mehr. Ein mutiger junger Arzt, der sich vor einem Jahr dazu bewegen ließ, die Praxis eines Kollegen zu übernehmen, meldete zwischenzeitlich Insolvenz an.

"Wollen Sie denn so weiter machen oder sehen Sie Änderungsmöglichkeiten", lautete die oft gestellte Frage an die Politiker. Annette Widmann-Mauz, gesundheitspolitische Sprecherin der CDU-Bundestagsfraktion, spricht davon, dass die einseitigen Abflüsse aus Bundesländern wie Baden-Württemberg korrigiert werden müssten. Dennoch steht sie zum Gesundheitsfonds. Ihr sei klar, dass in einer zweiten Phase mehr Geld generiert werden muss. Ärzte bräuchten eine leistungsgerechte Honorierung, um weiterhin freiberuflich in der Niederlassung tätig sein zu können. Das Regelleistungsvolumen dürfe nicht erdrückt werden von Einzelleistungen. Das Erwerbseinkommen allein könne nicht mehr die Basis sein, auch andere Einkunftsarten müssen berücksichtigt werden. Einer Priorisierung der Leistung stand sie skeptisch gegenüber. Einen Seitenhieb auf die Selbstverwaltung konnte sich Widman-Mauz nicht verkneifen. Schließlich habe der neue EBM - den die Politik nicht zu vertreten habe - auch zu einer neuen Verteilung der Honorare innerhalb der Ärzteschaft mit Verlierern und Gewinnern geführt. 

Dr. Ulrich Noll, Mitglied der baden-württembergischen Landtagsfraktion, klagt an, dass die Ärzte seit 15 Jahren reglementiert und limitiert werden. Die Budgetierung, Nullrunden, versicherungsfremde Leistungen, von den Ärzten zu tragendes Morbiditätsrisiko, habe zu horrenden Einbußen über Jahre geführt. Dadurch sei keine Planungssicherheit mehr gegeben. Im Falle einer Regierungsbeteiligung wolle die FDP von der Solidargemeinschaft getragene Grundleistungen und individuell abgesicherte Wahlleistungen neu definieren und vor allem den Gesundheitsfonds möglichst schnell abschaffen. Die Kassen sollten wieder regionale Beiträge erheben. Dann sei das Problem, dass zwei Milliarden im Land erarbeitete Versichertengelder abfließen, rasch behoben. Ein Aushöhlen des privaten Versicherungssystems sehe das FDP-Konzept nicht vor. 

Auch Biggi Bender, gesundheitspolitische Sprecherin der Grünen im Bundestag, will den Gesundheitsfonds abschaffen. Die Kassen sollen die Beiträge wieder selber festsetzen. Bender ist der Meinung, dass die Bemessungsgrundlage verbreitert werden muss, Beiträge auf Kapital- und Mieteinkünfte sollen in die Finanzierung einfließen. Die Grünen-Politikerin ist gegen eine Zwei-Klassen-Medizin. Schrittweise sollen alle Versicherten in ein gemeinsames System einbezogen werden. Am Risikostrukturausgleich hält sie fest. Den Ärzten verspricht sie eine leistungsgerechte Bezahlung.

Peter Friedrich, SPD-Bundestagsabgeordneter und Mitglied des Gesundheitsausschusses, will die Privatkassen "in die Pflicht" nehmen. Auch die PKV solle in den Risikostrukturausgleich einbezahlen. Die SPD stehe klar zur Bürgerversicherung. Friedrich sieht das Problem vor allem in den Umverteilungsmechanismen der ärztlichen Selbstverwaltung. Für ihn sei es nach wie vor unverständlich, warum es trotz eines Milliardenzuflusses zu Honorarverlusten kommt. Er mahnte die ärztliche Selbstverwaltung an, erst korrekte und komplette Zahlen vorzulegen, um dann weiter entscheiden zu können. Dass Geld aus Baden-Württemberg in andere Länder abfließt, findet er nicht verwerflich : "Die GKV ist eine Solidargemeinschaft für ganz Deutschland".

Dr. Daniel Rühmkorf, Referent der Linken für Gesundheitspolitik und Pflege, will die Bürgerversicherung weiterentwickeln. Auch er will die Finanzierungsbasis des Gesundheitssystems verbreitern. Die private Krankenversicherung soll hinterfragt werden, müsse zumindest in den Risikostrukturausgleich eingebunden werden. Ärzte als Freiberufler haben für sein Empfinden ein adäquates Einkommen. Rühmkorf steht zur Selbstverwaltung. Zuzahlungen für Patienten will er aus sozialen Gründen abschaffen. 

Dr. Matthias Fabian, zweiter Vorsitzender des Marburger Bundes, Landesverband Baden-Württemberg, machte deutlich, dass Klinikärzte ebenfalls mit dem Rücken zur Wand stehen. Sie erhielten zwar ihr tarifliches Gehalt, müssten dies aber mit einer höheren Leistungsdichte bezahlen, was zu weniger Zeit für die Patienten führt. Auch die Kliniken seien unter diesen Bedingungen gezwungen, zu rationieren. 

Fabian mahnte die Politiker an, mit den Bürgern eine ehrliche und offene Debatte zu führen, ob mehr Geld ins System hineingebracht werden solle oder ob Leistungen gestrichen werden sollen. Ein Fortführen der medizinischen Versorgung auf diesem hohen Niveau sei unter den jetzigen Bedingungen nicht mehr durchführbarmöglich. 

Mehr Geld ins System oder offene Rationierung? Viele Teilnehmer des Ärztetages hatten auch nach dieser Diskussionsrunde das Gefühl, dass Antworten noch ausstehen.

Stand: 20.07.2009

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letzte Änderung am 20.07.2009