Das Arzt-Patient-Verhältnis bei progredienten unheilbaren Krankheiten

12. Gesundheitsforum Südwürttemberg diskutiert Umgang mit Sterbenden und Sterbehilfe jeder Art

Das Gesundheitsforum Südwürttemberg ist eine zentrale, kreisärzteschaftsübergreifende Fortbildungsveranstaltung, die einmal jährlich von der Akademie für ärztliche Fortbildung bei der Bezirksärztekammer Südwürttemberg für alle Ärztinnen und Ärzte im Kammerbereich ausgerichtet wird. Der Vorstand der Bezirksärztekammer Südwürttemberg wählt jeweils ein Thema aus, welches aktuell und für möglichst viele Kammermitglieder relevant ist. Für das 12. Gesundheitsforum 2009 haben sich die Vorstandsmitglieder für das Thema "Sterbehilfe" entschieden.

Die verschiedenen Formen der Sterbehilfe, das Pro und Contra, die Situation in anderen europäischen Ländern und die Rolle der deutschen Geschichte, das Arzt-Patient-Verhältnis bei progredienten unheilbaren Krankheiten und die vielen ethischen, juristischen und sozialen Aspekte werden bei diesem sensiblen Thema seit Jahren in der Öffentlichkeit, in den Medien, auf politischer Ebene und in vielen gesellschaftlichen Gruppen kontrovers diskutiert. Die meisten Standpunkte und Argumente, die dabei vertreten werden, kann man in vielen Fällen, auch wenn man sie nicht teilt, so doch wenigstens teilweise nachvollziehen. 

Entsprechend diesen verschiedenen Positionen war das Referententeam ausgewählt und eingeladen worden. 

Nach der Begrüßung durch den Präsidenten der Bezirksärztekammer Südwürttemberg, Dr. Michael Datz, führte Prof. Dr. Urban Wiesing, Ärztlicher Direktor des Instituts für Ethik und Geschichte der Medizin, Tübingen, mit seinem Referat "Die Ethik der Sterbehilfe" in das Thema ein, in dem er gleich zu Beginn darauf hinwies, wie strittig das Thema "Sterbehilfe" ist. Mehrere Untersuchungen hätten gezeigt, dass weder Bürger noch Ärzteschaft sich darin einig werden können. Aus diesem Grund stellte er in seinem Referat die verschiedenen Positionen und Argumentationen einander gegenüber. Was unterscheidet die "Tötung auf Verlangen"“ vom "Sterben lassen"? Manche meinen, es bestünde ein großer Unterschied, andere halten das für annähernd gleich. Und wie verhält es sich mit der Menschenwürde? Worauf beruht sie? Bedeutet sie Selbstbestimmung oder nur die Möglichkeit zur Selbstbestimmung? 

Die "Selbstbestimmung" ist das zentrale Argument dafür, dass der Mensch das Recht hat, sein Leben und Sterben zu gestalten. Aber reicht dieses Recht so weit, dass sich ein Mensch seinen Tod wünschen darf? Und welche Rolle hat der Staat? Ist das Recht auf den eigenen Tod eine Privatangelegenheit, die den Staat nichts angeht? Hat er das Recht, Sterbehilfe zu unterbinden, oder gar die Pflicht, die unterschiedlichen Positionen zu schützen und Missbrauch zu verhindern? Beachtlich ist das Argument der "schiefen Ebene" (Slippery Slope): Lässt man Tötung in begrenzten und kontrollierten Fällen zu, wird es eine Dynamik geben. Hinzu kommt in Deutschland noch die Erfahrung des Dritten Reiches. Aber - so Professor Wiesing weiter - wäre das nicht sogar ein Grund, dem Menschen Selbstbestimmung über seinen Tod einzuräumen? Die Nationalsozialisten haben damals wider die Selbstbestimmung gehandelt und gemordet. Und jetzt geht es darum, dem Menschen Selbstbestimmung über seinen Tod zu geben. Müssen wir uns um das ärztliche Berufsethos sorgen und verlieren wir das Vertrauen der Patienten? Professor Wiesing glaubt nicht, dass das Vertrauen zu den Patienten schwindet, wenn Ärzte sich am Suizid beteiligen oder Tötung auf Verlangen leisten. Für ihn ist jemand, der Tötung auf Verlangen ablehnt, kein Monster und jemand der auf Verlangen tötet, ebenso nicht. Aus diesem Grund ist es allerdings ausgeschlossen, eine gesetzliche Regelung zu finden, die allen gerecht wird. Professor Wiesing ist daher nachhaltig der Auffassung, dass die Bundesrepublik Deutschland noch ein Entwicklungsland ist, was die Pluralität der Lebensstile und die gesetzlichen Regelungen dazu angeht. 

Im Anschluss an Herrn Prof. Dr. Wiesing berichtete Frau Dr. med. Petra de Jong, director NVVE, Nederlandse Vereniging voor een Vrijwillig Levenseinde, Amsterdam, über die Erfahrungen mit der Sterbehilfe in den Niederlanden. Sie schilderte zunächst zwei Fallbeispiele von zwei schwerkranken Frauen mit belastenden Symptomen und einer infausten Prognose, bei denen sie selbst Euthanasie geleistet hat. Bei der einen Patientin war der Verlauf gut, und sie schlief im Beisein ihrer Familie für immer ein. Bei der anderen Patientin gab es Komplikationen. Erst durch Gabe weiterer Medikamente konnte die Patientin in Ruhe sterben. 

Dr. de Jong zeigte dies von sich aus der Polizei und dem Leichenbeschauer an. Die daraufhin eingeleitete Untersuchung wurde jedoch nach drei Monaten eingestellt. Dr. de Jong berichtete dann allgemein über die Situation im Umgang mit der aktiven Sterbehilfe in den Niederlanden. Der Suizidversuch ist straffrei, aber Beihilfe zum Suizid ist im Gegensatz zu Deutschland strafbar. Dagegen bleibt die Sterbehilfe (Euthanasie), die im Rahmen der gesetzlichen Regelung durchgeführt wird, straffrei. Unter Euthanasie wird in den Niederlanden die Hilfe beim Sterben auf ausdrücklichen Wunsch des Patienten verstanden. Historisch begann die Diskussion um die Sterbehilfe 1973 und wurde mit Inkrafttreten des jetzt gültigen Gesetzes 2002 abgeschlossen. Die straffreie Euthanasie sieht vor, dass ein zweifelsohne freier Wunsch des Patienten bei einer aussichtslosen Prognose, ein nicht behandelbares Leid, die Konsultation eines zweiten Arztes und die Meldung bei einer von fünf regionalen Kontrollkommissionen vorliegen müssen. In einer Studie aus dem Jahr 2004 ergab sich, dass seit dem Inkrafttreten des Gesetzes etwa 2000 Fälle von Sterbehilfe gemeldet worden sind. Von den ausführenden Ärzten waren 87 Prozent Hausärzte, 12 Prozent Fachärzte und nur 3 Prozent Ärzte eines Pflegeheims. Bei den unheilbaren Krankheiten handelte es sich hauptsächlich um Krebserkrankungen, an zweiter Stelle standen kardiale Erkrankungen. Die Sterbehilfe leisteten in erster Linie Ärzte, nur 17 Prozent der Patienten gingen selbst in den Freitod. Der Anteil der Euthanasie an allen Sterbefällen lag bei 1,7 Prozent. Zusammenfassend wies Frau Dr. de Jong darauf hin, dass die Euthanasie in Holland durch das Sterbehilfegesetz transparenter geworden ist. Die Bürger können offen darüber sprechen. 

Der dritte Referent war Prof. Dr. Hans Kamps, Geschäftsführer der Bezirksärztekammer Südwürttemberg. Sein Referat befasste sich mit dem "Recht der Sterbehilfe" und den gesetzlichen Regelungen dazu. Zunächst zeigte er die geschichtliche Entwicklung auf, beginnend beim Eid des Hippokrates, wonach die Tötung auf Verlangen ausdrücklich untersagt ist. Im 15. Jh. begründete Thomas Morus, Lordkanzler unter Heinrich VIII. von England, das erste Mal ein Recht auf Suizid. Auf Grund der Perversion der Euthanasie im Dritten Reich wurde im Grundgesetz das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit verfassungsrechtlich geschützt. 1983 kam durch das BVerfG im Volkszählungsurteil das Grundrecht auf informelle Selbstbestimmung hinzu, so dass der Wille des Patienten und nicht mehr sein Heil oberstes Gesetz ist. In der Bundesrepublik Deutschland sind der Suizid selbst und damit auch die Anstiftung zum Suizid sowie die Beihilfe zum Suizid straffrei. Strafbar ist aber die Tötung auf Verlangen. Der Unterschied besteht darin, dass dann, wenn der Patient selbst Hand an sich legt und sich tötet, es Suizid ist, auch wenn der Arzt ihm die Tabletten dazu besorgt. Wenn der Arzt ihm diese Tabletten aber selbst verabreicht oder eine Spritze mit einer tödlich wirkenden Substanz gibt, dann ist es eine Tötung auf Verlangen und strafbar. 

Die berufsethische Würdigung der Anstiftung oder Beihilfe zum Suizid ist hochkompliziert. Auch innerhalb der Ärztekammern wird darüber gestritten. Nach der Berufsordnung der Landesärztekammer Baden-Württemberg ist die Lebenserhaltung Pflicht des Arztes. Danach müsste jeder, der Hilfe zum Suizid leistet, vom Bezirksberufsgericht bestraft werden. In der Bezirksärztekammer Südwürttemberg besteht aber Konsens bei den Juristen, dass ein solcher Fall, würde er an die Bezirksärztekammer herangetragen, nicht an den Kammeranwalt zur Einleitung eines berufsgerichtlichen Verfahrens heranzutragen ist, weil eine solche Tat auch im Strafrecht nicht verfolgt wird. Juristen müssen definieren, wann ein Mensch ein Mensch ist. Er beginnt mit den Geburtswehen. Aber wann hat ein Sterbevorgang eingesetzt? Eigentlich mit der Geburt. Eine klare Definition fehlt. Wann der Mensch tot ist, ist allerdings wieder klar geregelt, denn im Transplantationsgesetz wird ein Mensch als tot bezeichnet, wenn das EEG mindestens 30 Minuten eine Nulllinie zeigt. 

Für den Arzt sehr hilfreich sind die Richtlinien der Bundesärztekammer zur Sterbebegleitung. Er muss den Willen des einwilligungsfähigen Sterbenden beachten. Wer als Arzt lebensverlängernde Maßnahmen mit Einverständnis des einwilligungsfähigen Patienten unterlässt, ist straflos. Wer als Arzt bei einem nicht Einwilligungsfähigem/Bewusstlosem das Beatmungsgerät abstellt - rechtlich bedeutet das ein Unterlassen der Weiterbeatmung - oder es unterlässt, eine begonnene Sondenernährung fortzuführen, ist in der Regel strafbar. Andererseits sind nach dem BGH-Urteil vom 08.6.2005 - II ZR 177/03 - Zwangsbehandlungen unzulässig. Eine gegen den erklärten Willen des Betreuers eines Patienten durchgeführte künstliche Ernährung ist eine Handlung, deren Unterlassung der Betreuer auch dann verlangen kann, wenn die Unterlassung zum Tod des Patienten führt. Der Selbstbestimmung und dem Willen des Patienten kommt gerade bei einer Einwilligungsunfähigkeit/Bewusstlosigkeit des Patienten eine immense Bedeutung zu. Hat der Patient eine Patientenverfügung erstellt, ist der Arzt daran gebunden, wenn keine Anzeichen dafür erkennbar sind, dass der Patient von seinem Verfügungswillen wieder Abstand genommen hat. Handelt ein Arzt gegen das, was in der Patientenverfügung verfügt ist, macht er sich regelmäßig wegen Körperverletzung strafbar und ist auch schadensersatzpflichtig.

Der vierte Referent war Prof. Dr. Christoph Student, Facharzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie, Zusatzbezeichnung Palliativmedizin, Leiter des Deutschen Instituts für Palliative Care, Bad Krozingen. Er stellte das Ziel der Palliativmedizin in den Mittelpunkt: Die Lebensqualität des Menschen in der ihm verbleibenden Zeit. Davon ausgehend kam er auf die Ängste des Menschen zu sprechen. Vor allem die Angst vor körperlichen Beschwerden, vor Beziehungsverlust, davor, anderen zur Last zu fallen. Der Wunsch nach Suizid und Euthanasie hat gleiche Motive. Der Wunsch nach Suizid steigt mit dem Alter und ist eine Alterserscheinung. Für die Selbsttötung gibt es in der Psyche des Menschen eine hohe Hemmschwelle, besonders wenn diese von entsprechenden Wertvorstellungen oder auch Religionen geprägt ist. Diese Schwelle wird herabgesetzt, wenn ein Mensch Unterstützung und Hilfe bei Suizid erfährt. Auch für die Tötung eines anderen Menschen muss eine hohe Energie aufgebracht werden, um die Tötungshemmung herabzusetzen. Diese Erfahrung hat das Militär bestätigt. 

In der Bundesrepublik Deutschland sind Euthanasiefälle nur aus den Akten der Staatsanwaltschaft bekannt. Die Menschen, die Sterbehilfe begangen haben, sind keine Monster. Sie haben verschiedene Gründe dafür. An Begründungen finden sich z. B. Burnout, Hilflosigkeit oder auch Mitleid. "Mitleid" gibt es allerdings nicht. Denn niemand kann sich genau in die Situation eines anderen hineinversetzen. Und es ist gefährlich, zu denken, man wisse, was der andere empfindet. Die Tötungshemmung wird auch herabgesetzt durch kollektive Bestätigung: Wenn viele etwas unterstützen, wird es leichter. Der Mensch muss daher achtsam sein, dass er nicht etwas tut, was diese Schwelle senkt. Professor Walter Jens sei ein gutes Beispiel für die veränderte Einstellung eines Menschen zu der Frage seiner Lebensqualität. Die Haltung von Professor Jens zu aktiver Sterbehilfe bei bestimmten Erkrankungen ist bekannt. Er hat sich viele Jahre dafür eingesetzt und hat seine Meinung immer wieder bestätigt. Seit 2003 ist er aber an Demenz erkrankt. Sein Sohn hat darüber vor Kurzem ein Buch veröffentlicht. Trotz der bekannten Haltung von Professor Jens zu der Problematik einer Demenzerkrankung hat das Thema Euthanasie am Anfang seiner Erkrankung in der Familie überhaupt keine Rolle gespielt. Es wurde nicht darüber gesprochen. Zu einem späteren Zeitpunkt gab Frau Jens in einem Interview mit einem Journalisten an, dass ihr Mann nicht mehr der Mensch sei, den sie einmal gekannt habe, und er in einer eigenen Welt lebe. Bei Frau Jens blieb offensichtlich die Einstellung zur aktuellen Sterbehilfe erhalten, die ihr Mann früher vertrat, während sie sich bei ihrem Mann verändert hatte. Denn sie berichtete, dass er jetzt z. B. Lebensfreude zeige an Dingen, die er gerne esse. Sein Sohn Tilmann Jens beschreibt in seinem Buch, dass sein Vater 2007 eine klare Phase gehabt und damals gesagt habe, er habe eigentlich ein schönes Leben gehabt und jetzt möchte er gehen. Das war der Augenblick, als die Familie anfing, zu überlegen, wie sie seinen Sterbewunsch umsetzen könnten. Aber in demselben Moment habe der Vater gelächelt und gesagt, aber schön sei das Leben immer noch. Dies habe für Frau Jens und ihren Sohn zu der Erkenntnis geführt, dass eigentlich sie leiden und nicht so sehr ihr Mann/Vater. In einer solchen Situation, so Professor Student weiter, helfen drei Schritte, die Einbahnstraße zur Euthanasie zu verlassen:

  1. Nähe wagen, nahe an den Kranken herangehen, auch wenn sich dort Abstoßendes, Schreckliches zeigt. Dabei kommen die nicht Betroffenen auch wieder näher zu sich selbst und nehmen wahr, was dabei in ihnen ausgelöst wird.
  2. Öffentlichkeit herstellen, die die Isolation von Patienten und Angehörigen beendet. Die Situation führt sonst fast automatisch zum Rückzug der Beteiligten, was fatal ist. Familie Jens hat diese Öffentlichkeit hergestellt.
  3. Hilfe annehmen. Da in unserer Gesellschaft Autonomie eine sehr große Rolle spielt, ist es sehr schwer, Schwäche zuzugeben und Hilfe zu holen. Frau Jens hat dies geschafft, in dem sie für ihren Mann eine Pflegerin gefunden hat und damit die Familie entlastet. Das alles ist zwar nicht der Schlüssel zur Erlösung von Leid, aber der Schlüssel zur Erlösung von tödlichem Mitleid.

Herr Prof. Dr. Axel Bauer, Leiter des Fachgebiets Geschichte, Theorie und Ethik in der Medizin an der Medizinischen Fakultät Mannheim der Universität Heidelberg, Mitglied der Akademie für Ethik in der Medizin und Mitglied des Deutschen Ethikrates, stellte dar, dass in den letzten Jahren das Recht auf Selbstbestimmung sehr in den Mittelpunkt medizin-ethischer Debatten gerückt ist. Dies zeigt sich merkwürdigerweise vor allem am Beispiel der Sterbehilfe. Der Bevölkerung wird eingeredet, unbegrenzte Freiheit beim Sterben haben zu müssen. Noch hat der Deutsche Bundestag über das Gesetz zur Patientenverfügung nicht entschieden, da kommt das Thema "Beihilfe zum Suizid" und die Forderung des ärztlich assistierten Suizids in die Medien. Paradoxerweise wird die Beihilfe zum Suizid, die Roger Kusch geleistet hat, in denselben Medien als Kommerzialisierung heftig kritisiert. Daraufhin stellte Roger Kusch diese von ihm angebotene Sterbehilfe ein. Das Hamburger Verwaltungsgericht stellte zwar Straffreiheit für ihn fest, bestätigte aber das behördliche Verbot der Beihilfe zum Suizid gegen Bezahlung. Die nächste Stufe der Eskalation war das Spiegel-Interview mit Prof. Dr. Taupitz, Geschäftsführender Direktor des Instituts für Deutsches, Europäisches und Internationales Medizinrecht, Gesundheitsrecht und Bioethik der Universitäten Heidelberg und Mannheim, der die ärztliche Unterstützung zum Suizid positiv sieht. Das ärztliche Berufsethos bezieht sich auf das Leben. Aber daran scheint sich nicht jeder Arzt halten zu wollen. Nach einer Umfrage würden 35 Prozent der Ärzte eine Hilfe zum Suizid unterstützen, 17 Prozent befürworten die Straffreiheit bei Tötung auf Verlangen. Lt. Professor Taupitz könnte der ärztlich assistierte Suizid auch eine Kassenleistung sein, da es besser sei, selbstbestimmt zu sterben als ewig zu leben. Diese Auffassung ist abzulehnen. In Betracht kommt eine gesetzliche Regelung, durch die Ärzte ein Privileg zur Sterbehilfe bekämen. Professor Bauer stellt insoweit die Frage, ob in einer solchen Situation eine Kommerzialisierung der Sterbehilfe noch fragwürdig ist, wenn Suizidassistenz als Kassenleistung diskutiert wird. Nach Professor Bauer muss die Suizidassistenz ethisch generell abgelehnt werden. In Österreich gibt es daher keine Straffreiheit der Beihilfe zum Suizid. Würde das im Einzelfall anders entschieden, ist das akzeptabel, nicht aber als Regel, die Professor Taupitz fordert. 

Der abschließende Redner war Prof. Dr. Herbert Csef, Facharzt für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, Ärztlicher Direktor der Medizinischen Klinik und Poliklinik II der Universität Würzburg. Er setzte sich mit der Frage auseinander, warum Sterbehilfe ein so politisches Thema geworden ist. Zugrunde liegen dieser Entwicklung irritierende Umfrageergebnisse, wonach 70 bis 80 Prozent der deutschen Bevölkerung für aktive Sterbehilfe eintreten. Nach Professor Csef ist ein solches Ergebnis aber auch eine Folge des Studiendesigns, denn bei einer Befragung in der Fußgängerzone kann ausgewählt werden, wer gefragt wird. Angesichts eines solchen Studienergebnisses stellt die harsche Kritik der Medien zu Dignitas an der Sterbehilfe durch Roger Kusch eine Art Projektion dar. In Europa gibt es sehr unterschiedlichen Regelungen zur Sterbehilfe. Große Ängste und Unsicherheit führen dazu, gesetzliche Regelungen anzustreben. Angst ist aber ein gefährliches Motiv. Auch junge Ärzte sind sehr verunsichert im Umgang mit Sterbenden und Sterbehilfe jeder Art. Bei der gespaltenen Ärzteschaft ist das Thema Alltag in den Krankenhäusern. Die Konflikte halten an, und die Leidtragenden sind die Patienten und die Angehörigen. Prof. Dr. Csef ist daher der Ansicht, dass

  1. Deutschland eigentlich keine neuen Gesetze, sondern mehr Kommunikation braucht
  2. Palliativ-Stationen schneller ausgebaut werden müssen und 
  3. die Verbindlichkeit von Patientenverfügungen gesetzlich bestimmt werden müssen.

Professor Csef schloss mit dem Hinweis, es sei nötig, wieder eine Sterbekultur zu entwickeln mit Nähe, Gespräch und haltenden Händen. Jeder Sterbende kann die Lebenden etwas lehren.

Dr. med. Herterich Reutlingen, 14.07.2009
Fortbildungsbeauftragte ÄK 672.6 FB/K6

Stand: 14.07.2009

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letzte Änderung am 14.07.2009