Versorgung von Substitutionspatienten sichern

Die Landesärztekammer Baden-Württemberg schlägt Alarm, weil die Behandlung Opiatabhängiger bedroht ist: Das Durchschnittsalter substituierender Ärzte ist hoch, daher müssen junge Ärztinnen und Ärzte für die verantwortungsvolle Aufgabe gewonnen und die rechtlichen Rahmenbedingungen sowie die unzureichende Vergütung neu geregelt werden.

Seit zwanzig Jahren ist die Substitution Opiatabhängiger ein Erfolgsmodell. Mit der legalen Substitutionstherapie ist es möglich geworden, vielen Opiatabhängigen nach erfolglosen Abstinenztherapien das Überleben zu sichern, die Chance für eine Resozialisierung zu erhöhen und das Risiko für begleitende Infektionserkrankungen zu senken.

Dennoch schlägt die Landesärztekammer Baden-Württemberg Alarm: "Der Altersdurchschnitt substituierender Ärzte ist hoch, ein Großteil wird in absehbarer Zeit nicht mehr zur Verfügung stehen", befürchtet Dr. Christoph von Ascheraden, Vorstandsmitglied der Landesärztekammer Baden-Württemberg und Vorsitzender des Ausschusses "Suchtmedizin". Das Durchschnittsalter der substituierenden Ärzte liegt in drei Bezirken im Südwesten bei 58 Jahren, in einem Bezirk bei 59 Jahren. "Die Herausforderung besteht darin, junge Ärztinnen und Ärzte für diese verantwortungsvolle Aufgabe zu gewinnen. Nur so kann die Substitution auch künftig sicher gestellt werden", ist der Allgemeinmediziner überzeugt.

Jüngere Ärztinnen und Ärzte sind nach Dr. von Ascheradens Worten angesichts der aktuell ungünstigen Rahmenbedingungen kaum zu gewinnen: So sind Drogensüchtige meist ein schwieriges Klientel; ihre Behandlung in den Praxen niedergelassener Ärztinnen und Ärzte führt insbesondere in ländlichen Regionen leicht zur Rufschädigung der Praxisinhaber, da die Bevölkerung hier die Suchtkrankheit noch nicht als schwere chronische Erkrankung akzeptiert hat.

Weiter erschwert wird die Lage durch die Tatsache, dass die Substitutionsmedizin – weil sie mit erheblichen gesundheitlichen Risiken verbunden ist – nur in einem sehr engen rechlichten Rahmen geschehen kann. Im "Betäubungsmittelgesetz" und in der "Betäubungsmittel-Verschreibungsverordnung" ist der strafrechtlich bewährte Umgang mit abhängig machenden Substanzen geregelt. Dr. von Ascheraden beobachtet, dass "schon geringste Verstöße gegen die Vorgaben von Staatsanwälten als Straftaten verfolgt werden. Engagierte Ärzte, die sich für das Wohl ihrer suchtkranken Patienten einsetzen und die schwierig handhabbaren Maßgaben in den Praxisalltag umsetzen, stehen bei ihrer Arbeit – bildlich gesprochen – beinahe immer mit einem Bein im Knast." Hinzu komme die Diskrepanz zwischen Aufwand und finanzieller Vergütung, kritisiert Dr. von Ascheraden.

Mit allen diesen Problemen beschäftigt sich ein Symposium der Landesärztekammer Baden-Württemberg am 21. November in Stuttgart: Regeln und Risiken für den substituierenden Arzt, Spagat zwischen Aufwand, rechtlichen Rahmenbedingungen und unzureichende Vergütung etc. werden von Experten aus Klinik und Praxis diskutiert. Darüber hinaus sollen neue Ideen und Modelle zur Unterstützung des substituierenden Arztes vor Ort auf ihre Praktikabilität hin überprüft werden. "Im Vordergrund steht jedoch die Forderung an Politik und Staat, den engen gesetzlichen Rahmen für die Behandlung Suchtkranker zu lockern. Nur so können wir die Versorgung der schwer kranken Suchtpatienten auch künftig aufrecht erhalten."

Dass immer weniger seiner Kolleginnen und Kollegen bereit sind, sich suchtmedizinisch zu betätigen, wirkt sich nach den Worten von Dr. von Ascheraden mittelfristig auch negativ auf die öffentliche Sicherheit aus: Fällt die Substitutionsbehandlung weg, müssen sich Städte, Gemeinden und Bürger darauf einstellen, dass beispielsweise Beschaffungskriminalität und Prostitution deutlich zunehmen.

Gemeinsam mit der Kassenärztlichen Vereinigung bemüht sich die Landesärztekammer Baden-Württemberg, die Zahl der substituierenden Ärzte zu erhöhen: Einerseits durch Reaktivierung von Ärzten, die früher einmal substituiert haben; in neuen Versorgungsmodellen können diese auch tage- oder stundenweise oder als Urlaubs- oder Krankheitsvertreter tätig werden. "Andererseits werben wir bei Haus- und Fachärzten dafür, sich für die suchttherapeutische Tätigkeit zu qualifizieren und die Zusatzbezeichnung ‚Suchtmedizin’ zu erwerben", berichtet Dr. von Ascheraden. Außerdem wurde die Weiterbildungsordnung dahingehend geändert, dass alle Fachärzte für Psychiatrie durch ihre fachspezifische Ausbildung mit der Facharztprüfung die Qualifizierung in der Suchtmedizin erlangen.

Beim Symposium der Landesärztekammer wollen die Teilnehmer die Forderungen der Ärzteschaft an den Gesetzgeber und den Bundesausschuss sehr deutlich herausarbeiten:

  • Veränderung der rechtlichen Rahmenbedingungen, Herauslösung der Substitution aus dem strafrechtlichen Kontext der Betäubungsmittel-Verschreibungsverordnung. Es ist eine klare Trennung erforderlich zwischen dem illegalen Besitz / Handeln mit Betäubungsmitteln und dem Einsatz zu Therapiezwecken.
  • Möglichkeiten der Mitgabe des Substituts durch den Arzt für mindestens zwei Tage.
  • Verbesserung der Honorarsituation (Erhöhung der honorierten Gesprächsziffern auf zwölf pro Quartal), verbesserte regionale Förderung durch Ärztekammer und Kassenärztliche Vereinigung, um die Therapie auch auf Dauer flächendeckend auf hohem Niveau sicherzustellen.

Bei allem Unmut sieht Dr. von Ascheraden die Lage nicht als hoffnungslos an: "Trotz der Schwierigkeiten für substituierende Ärzte zeichnet sich doch eine Veränderung in der Wahrnehmung dieser Tätigkeit ab: Das Verständnis der Politik ist gewachsen. Die Zeiten, in denen Substitution als ‚Dealing in weiß’ beurteilt wurde, sind glücklicherweise vorbei."

Hintergrund:

Der Grundstein für die Substitutionsbehandlung wurde 1991 erstmals durch die vertragliche Vereinbarung von Krankenkassen und Kassenärztlicher Vereinigung gelegt. Anfänglich waren es nur wenige hundert Patienten, die auf dieser Basis behandelt wurden. Inzwischen erhalten bundesweit rund 80.000 Opiatabhängige Substitute wie Methadon oder Subutex, landesweit sind es über 10.000. Die Substitution hat sich zur Standardtherapie entwickelt. Den Patienten ist es dadurch möglich, zu überleben, sich zu stabilisieren und in die Gesellschaft zu integrieren, anstatt wie früher einem Beschaffungsdruck ausgesetzt zu sein, der oft auch in die Prostitution, die Kriminalität und im Extremfall in den Tod führte.

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letzte Änderung am 19.11.2012