Großes Interesse an Jubiläums-Feierlichkeit

Festakt "150 Jahre ärztliche Selbstverwaltung"

Durch Großherzoglich badische Verordnung vom 7. Oktober 1864 war in Form des "Ärzteausschusses" die erste Standesvertretung der Ärzteschaft in Deutschland eingerichtet worden. Grund genug für die Landesärztekammer Baden-Württemberg und die Bezirksärztekammer Nordbaden, das 150-jährige Jubiläum im Rahmen eines Festakts zu begehen. Zahlreiche prominente ehren- und hauptamtliche Mitglieder der ärztlichen Selbstverwaltung aus Land Baden-Württemberg und weit darüber hinaus waren Ende November nach Karlsruhe ebenso gekommen wie Partner der Ärzteschaft aus Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. Darüber hinaus nutzten auch viele Ärztinnen und Ärzte aus Praxis und Klinik die Gelegenheit, den besonderen Geburtstag ihrer Standesvertretung zu feiern.

So konnten Landesärztekammer-Präsident Dr. Ulrich Clever und Nordbadens Bezirksärztekammer-Präsident PD Dr. Christian Benninger Ende November an die 400 Personen im modernen und festlich geschmückten Konzertsaal der Karlsruher Hochschule für Musik begrüßen. Die erwartungsfrohen Feiergäste - darunter viele hochrangige Vertreter des südwestdeutschen Gesundheitswesens – waren zusammen gekommen, um an das denkwürdige Ereignis der Gründung des ersten Vorläufers der ärztlichen Selbstverwaltung und damit den Beginn der "Verkammerung" des Berufsstandes vor 150 Jahren zu erinnern.

Selten passten das Thema einer Veranstaltung und das Leitmotiv der musikalischen Umrahmung so ideal zusammen, wie an jenem Tag: Zum Kammer-Jubiläum spielten das Peter Lehel Quartett und Wolfgang Meyer Ausschnitte aus ihrer jüngsten CD "Chamber Jazz". Darin setzt sich das vielseitige und extrem wandlungsfähige Jazz Quartett des Saxophonisten und Komponisten Peter Lehel mit dem Musizierideal der klassischen Kammermusik auseinander.

Unterstützung erhielten die auch klassisch ausgebildeten Vollblutjazzmusiker des Quartetts von einem herausragenden Solisten aus der Klassikwelt, dem international renommierten Klarinettisten Wolfgang Meyer. Er war langjähriger Rektor der Hochschule für Musik in Karlsruhe und leitet dort nach wie vor eine internationale Klarinettenklasse.
 
Die Musiker boten der Jubiläumsveranstaltung einen würdigen und gleichermaßen mitreißenden Rahmen mit ihren Interpretationen und Improvisationen von Werken großer klassischer Kompositionen wie Bach, Brahms, Debussy oder Verdi, aber auch Gershwin, Goodman oder Piazzolla. Die abwechslungsreichen Arrangements boten eine eigene Klangwelt und kreierten einen sehr persönlichen Gruppensound, der die Festgäste ausnahmslos begeisterte.

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Blick ins Auditorium

Karlsruhes Oberbürgermeister Dr. Frank Mentrup konnte in seiner Doppelrolle als approbierter Arzt und lokales Stadtoberhaupt bei seinem Grußwort die Festgäste nicht nur von Karlsruhes großer Attraktivität als Metropole überzeugen, sondern er wusste auch die historischen Besonderheiten hervorzuheben, welche die Petition des Durlacher Ärztevereins im Jahre 1848 für die historische Entwicklung der Ärzteschaft hatte. Die damalige Forderung nach einer "Befreiung der ärztlichen Kunst und des ärztlichen Standes aus der Bevormundung und Beaufsichtigung der Regierungen, Aufhebung der einseitigen Zumuthungen und Belastungen, Betheiligung der Ärzte an der Ordnung und Verwaltung ihrer Verhältnisse" wurde zur Grundlage für die Einrichtung des deutschlandweit ersten Ärzteausschusses im Jahre 1864 und nach den Worten des Oberbürgermeisters auch Voraussetzung für die Befreiung der ärztlichen Kunst und des ärztlichen Standes von der Obrigkeit. Dr. Mentrup betonte die Historie auch deshalb, weil man sich immer wieder darauf besinnen müsse, wo man herkomme, um für die Zukunft zu wissen, wo man hin wolle.

Baden-Württembergs Sozialministerin Katrin Altpeter bedankte sich in ihrem Grußwort bei der Landesärztekammer für die stets konstruktive Zusammenarbeit: „Die Politik ist bei vielen Verbesserungsansätzen im Gesundheitssystem auf die sachverständige Beratung durch die Ärztekammern angewiesen. Für die baden-württembergische Landesregierung ist die Landesärztekammer in allen wichtigen Fragen der Gesundheitspolitik ein wichtiger Ansprechpartner“, so die Ministerin. Beispielhaft nannte Frau Altpeter die gemeinsame Arbeit in der Landesgesundheitskonferenz, in der Vertreter aller Akteure aus dem Gesundheitswesen gemeinsam überlegen, wie das Gesundheitswesen in Zukunft aussehen soll und wie das erreicht werden kann. Darüber hinaus zeigte sie sich sehr erfreut, dass die Ärztekammern in Baden-Württemberg künftig eine zentrale Rolle bei der Fachsprachenprüfung für ausländische Ärztinnen und Ärzte übernehmen wollen.

Vor diesem Hintergrund wies die Ministerin zudem darauf hin, dass von der Arbeit der Landesärztekammer und der vier Bezirksärztekammern nicht nur die Ärztinnen und Ärzte selbst, sondern in vielen Fällen auch Patientinnen und Patienten profitierten. Mit den Gutachterkommissionen für ärztliche Haftpflichtfragen sowie der GOÄ-Gutachterstelle böten die Ärztekammern Patientinnen und Patienten die Möglichkeit, kostenfrei auf den dort vorhandenen Sachverstand zurückzugreifen. Dadurch könnten häufig langwierige und kostenaufwändige Gerichtsprozesse vermieden werden.

Dem Präsidenten der Bundesärztekammer, Prof. Dr. Frank Ulrich Montgomery, war es eine besondere Freude und Ehre, der baden-württembergischen Ärzteschaft die Grüße seines Vorstandes zu überbringen. Ein wenig neidisch berichtete er, dass man mit der Gründung der Ärztlichen Selbstverwaltung in Baden-Württemberg dem 1873 gegründeten Deutschen Ärztebund, der „Urmutter der Bundesärztekammer“, ganze neun Jahre voraus gewesen war.

Prof. Montgomery betonte, dass die ärztliche Selbstverwaltung - ursprünglich „von Gottes Gnaden beschlossen und verkündet“ - heutzutage selbstverständlicher Teil des Gemeinwesens und - wie auch das übrige Gesundheitswesen in Deutschland - korporatistisch organisiert sei. Die Selbstverwaltung habe damit große Freiheit erlangt, gleichzeitig jedoch auch große Verantwortung übernommen. Das bedeute auch, dass die Berufsaufsicht durch die Ärztekammern ihren Mitgliedern enge Grenzen setzen und klare Regeln definieren müsse. Als aktuelles Beispiel nannte Prof. Montgomery den Dialog, den die Ärzteschaft derzeit führe zur Frage, wie mit Fragen am Ende des Lebens umzugehen ist. Damit einher gehe ein tiefes Verständnis der Ärztinnen und Ärzte für ihre Patienten: "Wir reden nicht nur von wirtschaftlichen Dingen, sondern es geht uns in der Kommunikation immer auch um einen ethisch-partizipativen Dialog", sagte der Bundesärztekammer-Chef.

Zudem wies Prof. Montgomery darauf hin, dass das korporatistische Gesundheitswesen natürlich auch immer wieder Gefahren ausgesetzt sei: Trotz Festschreibung im Vertrag von Lissabon, dass es keine Harmonisierung in Europa geben dürfe, versuche die zentrale Brüsseler Bürokratie immer wieder, in die Selbstverwaltung einzugreifen durch Schaffung technische Normen für die ärztliche Berufsausübung. Unter dem Beifall der Anwesenden lehnte der Präsident der Bundesärztekammer derartige Eingriffe in die Verantwortung der Ärztekammern rundweg ab.

Den eigentlichen Mittelpunkt der Jubiläumsfeierlichkeit bildeten zwei Festvorträge renommierter Experten, die das Auditorium in ihren Bann zogen: Prof. Dr. Wolfgang U. Eckart, Direktor des Instituts für Geschichte und Ethik der Medizin der Universität Heidelberg, beleuchtete die 150-jährige Historie der ärztliche Selbstverwaltung im gesellschaftlichen Wandel. Ausgangspunkt seiner Betrachtungen war die Deutsche Revolution von 1848/49, die im Großherzogtum Baden ihren Anfang nahm und innerhalb weniger Wochen auf die übrigen Staaten des Bundes übergriff. Die Unabhängigkeitsbestrebungen führten nach den Worten des Hochschulprofessors auch in der Ärzteschaft zu einem Emanzipationsprozess und bereiteten den Boden für das oben erwähnte Durlacher Manifest. Ergebnis war auch ein tiefgreifender Wandel der Aufgabenbereiche und des Selbstverständnisses der Ärztinnen und Ärzte, was letztlich unter anderem zur Akademisierung und zur Vereinheitlichung des Arztberufes führte. So begann der Aufstieg der Ärzte durch Zuwachs des professionellen Ansehens, und es kam zur vermehrten Nachfrage nach ärztlicher Leistung. Die klinische Medizin setzte neue Maßstäbe in Diagnostik und Therapie, und bald entwickelte sich auch eine qualitativ hochstehende und vereinheitlichte Aus- und Weiterbildung. Zu jener Zeit vielfach als „Armenärzte“ tätig, begann der Stand, ein neues Selbstverständnis zu entwickeln.


Freilich war es von diesem Befreiungsakt bis zur modernen Medizin der heutigen Zeit ein langer Weg, doch kritisch begleitet hat die Ärzteschaft seither immer ihre Selbstverwaltung. Als aktuelles Beispiel hierfür nannte Prof. Eckart den Wissenschaftlichen Beirat der Bundesärztekammer, der den steten Zuwachs an medizinischem Wissen – beispielsweise in der modernen Biomedizin – immer auch hinsichtlich ethischer Gesichtspunkte kritisch hinterfragt.

Der zweite Festvortrag diskutierte den gegenwärtigen Auftrag der Ärztekammer als Körperschaft des öffentlichen Rechts. Die Festveranstalter hatten keinen Geringeren als den ehemaligen Bundesverfassungsrichter Prof. Dr. jur. Paul Kirchhof, Direktor des Instituts für Finanz- und Steuerrecht der Universität Heidelberg, für das Referat gewinnen können.

Der Jurist bot seinen Zuhörern in 45-minütiger freier Rede eine kenntnisreiche Analyse, in der er sich nach einer kurzen Skizze der historischen Ausgangslage an die Beschreibung von wichtigen Prinzipien im Gesundheitswesen unserer Gegenwart machte. Dabei widmete sich Prof. Kirchhof vor allem der Aufgabe des Arztes, Vertrauen zu stiften. Außerdem analysierte er detailliert den Auftrag von Ärztinnen und Ärzten, um sich am Ende - „auch das muss bei einem Festvortrag auch möglich sein“ - mit pekuniären Fragen zu befassen.

Roter Faden dieses Festvortrages war der Freiheitsbegriff, den der Verfassungsrechtler in ganz unterschiedlichem Kontext immer wieder hinterfragte und auf die ärztliche Selbstverwaltung bezog. Nach seiner Ansicht genüge es nämlich nicht nur, dem Arzt Freiheit bei der Berufsausübung zu bieten, sondern die Gesellschaft müsse auch in die Lage versetzt werden, dieses Angebot zu nutzen. Wer jedoch das Entgelt budgetiere, der verliere auch die Möglichkeit zum freiheitlichen Handeln.

Bemerkenswerte Gedankengänge formulierte Professor Kirchhof auch zu der Tätigkeit in Arztpraxen: Wer die Berufsfreiheit in eigener Praxis nutze, der übernehme damit einhergehend eine enge Bindung und ein Leben lang Verantwortung. Ein Verlust von Freiheit? Nein, aber die Kraft zur engen Bindung müsse auf Basis des ärztlichen Ethos kontinuierlich gestärkt werden. Gerade hier komme den Ärztekammern eine wichtige Funktion zu.

Welche Freiheit haben die Kammern überhaupt? Mit ihrer Einrichtung habe der Staat einen Teil seiner Aufgaben in die Hand der Angehörigen des freien Berufes abgegeben. Die Staatsverwaltung habe nun die Aufgabe, diese Freiheit zu nutzen und zu verteidigen, gleichzeitig aber auch die Rechte und Pflichten der Mitglieder festzulegen.

Am Beispiel des Patientenrechtegesetzes erläuterte Prof. Kirchhof zwei Seiten einer Medaille: Das Gesetz sei zwar sehr wichtig für das Arzt-Patienten-Verhältnis, allerdings dürfe die Patientenaufklärung keineswegs mit einer „planmäßigen Ängstigung“ des Kranken gleichgesetzt werden. Auch hier sei es Aufgabe der Kammer, die ärztliche Freiheit in die richtigen Bahnen zu lenken.

Zusammenfassend habe die Ärztekammer eine Schlüsselfunktion in der „Kultur des Hochvertrauens“. Aber sie müsse wissen, was sie im Gesundheitswesen zu sagen hat. Und sie müsse auch den Mut haben, dieses zu sagen – auch wenn es politisch nicht opportun sei.

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Präsident Dr. U. Clever, Prof. Dr. W. U. Eckart, Prof. Dr. P. Kirchhof, Präsident PD Dr. C. Benninger

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letzte Änderung am 22.11.2014